Obst- und Gartenbauverein
Selbst ist der Samen
Wer mit seinem Garten schon etwas länger zusammengelebt oder einen alten Garten übernehmen konnte, wird feststellen, dass es Pflanzen gibt, die ihre eigenen Wege gehen. Nicht selten machen sie den besonderen Reiz des „reifen Gartens“ aus. Was wäre, wenn man sie nicht nur toleriert, sondern aktiv in die Gartengestaltung einbezieht ?
In der Wissenschaft verwendet man das Blackbox-Modell, um Prozesse zu beschreiben, die man nicht abschließend erklären kann. Man weiß, was den Prozess beeinflusst und was das Ergebnis ist, aber wie es genau abläuft, bleibt ein Rätsel. Wer schon einmal hinterfragt hat, wie eine Pflanze manchmal an ganz ungewöhnliche Standorte gelangen konnte, teils fern von ihrer Mutter und Jahre nach dem Ableben der Vorgängergeneration, der kann schon das Gefühl bekommen, es mit einer Blackbox zu tun zu haben. Einige Gartenbesitzer gehen noch einen Schritt weiter. Sie spielen sogar mit der Natur. Mit gezielten gestalterischen Eingriffen lenken sie die „Vorstellung“ der versamenden Pflanzen – eine Art florales Improvisationstheater. Ein Spiel ohne Sieger und Verlierer, aber mit jährlich anderem Ausgang.
Zunächst müssen wir uns bewusst machen, warum sich einige Pflanzen bevorzugt durch Versamung ausbreiten und welche Standorte sie in der Natur besiedeln. Häufig handelt es sich bei stark versamenden Pflanzen um Lebewesen, die räumlich und zeitlich ausweichen müssen, wenn ihre Lebensgrundlagen zur Neige gehen, oder die pflanzlichen Konkurrenten zu aufdringlich werden. Andererseits ist eine Großzahl von ihnen in der Lage, wieder schnell da zu sein, wenn die Bedingungen besser werden. Es gibt weltweit verschiedene Standorte, auf denen solche Pflanzen präsent sind, und zumindest einige von diesen können wir im Garten imitieren. Gerade das macht ja das Gärtnern mit versamenden Pflanzen so spannend. Es geht eben nicht nur darum, Pflanzen in den Garten zu bringen, die sich versamen, sondern bereits durch die Schaffung von günstigen Bedingungen bestimmte Arten zu fördern. Auch hier sind die Möglichkeiten vielfältig. Kiesflächen, Sumpfbeete oder Salzsteppen sind nur einige von vielen Optionen.
Versamende Pflanzen sind eigentlich überall möglich: Im Blumenkasten genauso wie auf mehreren Hektar Fläche. Es gibt jedoch einen Standort, der in der mitteleuropäischen Gartengestaltung nur selten bedacht wurde: die Lücke. In Form von Fugen und Spalten begegnet sie uns in der Horizontalen wie Vertikalen. Dabei gilt der Grundsatz: Dort, wo ein Unkraut gedeiht, kann es bald schon hübsch blühen. Zunächst müssen die Lücken von eventuell störender Vegetation befreit werden. Anschließend erfolgt die Aussaat. Die Methode „kreisender Blumentopf“ ist eine gute Alternative zur Saat in die Fuge. Dazu wird die Initialpflanze während des Versamungszeitraums mal an die eine, mal an die andere Stelle gestellt. Schon bald finden sich ihre Kinder in allen Lücken wieder. Das schönste an der Fuge ist, dass hier Pflanzen wachsen, die an anderen Gartenplätzen partout nicht gedeihen wollen, etwa das Spanische Gänseblümchen.
Viele versamende Pflanzen haben eine eindrucksvolle Blüte. Auch das Vor- und Nachspiel, also der Austrieb und der Samenstand, können faszinierend sein, jedoch sind die Strukturen und Konturen allgemein diffuser als bei langlebigen Stauden und Gehölzen. Genau diese Eigenschaft kann man sich zunutze machen, in dem Kontraste durch Formschnitthecken und ruhige Rasenflächen schafft. Aber auch die Kombination mit stabilen Stauden und Gehölzen ist gut möglich. Traditionelles Gärtnern mit selbstversamenden Pflanzen schließen sich also nicht gegenseitig aus – ganz im Gegenteil.
Die wichtigste Funktion des Beobachtens ist jedoch das Genießen. Und genau das sollte man immer wieder, denn jeder Augenblick ist einmalig.
Text: LOGL Stgt.
Mehr über den Obst-und Gartenbauverein Friedrichsfeld erfahren Sie unter www.ogv-friedrichsfeld.de
Autor:Wolfgang Weinkötz aus Friedrichsfeld |
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